

Familienarmut
„Relative Armut“
In den letzten fünfzehn Jahren ist die Zahl der von relativer Armut betroffenen Menschen gestiegen. In einer reichen Industrienation wie Deutschland spricht man von „relativer Armut“ im Sinne von Ungleichheit in der gesellschaftlichen Verteilung der Mittel, denn Sozialhilfeleistungen als staatliche Garantie zur Sicherung des Existenzminimums verhindern, dass jemand um sein Überleben kämpfen muss.
Faktoren für Armut
Anhaltende Arbeitslosigkeit, Überschuldung von Haushalten, Kinderreichtum und Migrationshintergrund gelten als Faktoren, die ein Hineingleiten in relative Armut begünstigen. Aber auch die Folgen von Trennung und Scheidung und das Alleinerziehen von Kindern führen oft zu finanziellen Mangellagen. Somit sind Familien und damit auch ganz besonders Kinder und Jugendliche von Armut betroffen.
Kinder und Jugendarmut
Neben der ökonomischen Mangelsituation erfahren Kinder und Jugendliche besonders die Auswirkungen der nicht-materiellen Aspekte von Armut. Mehr als einer Million Kindern und Jugendlichen wird materielle Sicherheit, die als eine notwendige Bedingung für die Entwicklung von psychischer Sicherheit und Stabilität bei Kindern und Jugendlichen angesehen wird, nicht zuteil.
Arbeitslosigkeit
Besonders bei lang anhaltender Arbeitslosigkeit leiden die Betroffenen unter existentiellen Ängsten, die sich auf das gesamte Erleben und Verhalten von Eltern und Kindern auswirken. Ökonomische, soziale und persönliche Probleme sind eng miteinander verbunden. Diese schwierige Lebenssituation kann zu Verhaltensweisen und Reaktionen führen, die selbst wieder belastend und Stress erzeugend sind.
Konsumverhalten
Schon im Kindergartenalter entwickeln Kinder ein Gespür für materiell bedingte soziale Ungleichheit. Mit zunehmendem Heranwachsen steigen die Konsumwünsche und das Bewusstsein für die eigene soziale Situation, damit einhergehend auch die durch finanzielle Begrenzungen erlebten Frustrationen. Kinder aus einkommensschwachen Familien nehmen nicht teil am üblichen Konsumverhalten, d.h. sie tragen keine Markenkleidung, verfügen nicht über aktuelles Spielzeug und fallen damit anderen Kindern auf.
Teilhabe am sozialen Leben
Besonders Jugendliche haben Angst, Ansehen und Anschluss bei Gleichaltrigen zu verlieren, wenn sie sich die Trends der Clique nicht leisten können. Finanzielle Restriktionen schränken Kinder und Jugendliche in ihrer Teilhabe am sozialen Leben ein. Sie müssen auf vieles verzichten. Viele beziehungsstiftende soziale Freizeitaktivitäten kosten Geld. Somit wird ihre Ausgrenzung und der soziale Rückzug bis hin zur Isolation begünstigt. Gefühle der Hilflosigkeit, Ängstlichkeit bis hin zu depressiven Verstimmungen können eine Folge erlebter sozialer Ausgrenzung sein. Andererseits kann es auch zu aggressiven Reaktionen kommen, um die erlebten Frustrationen zu kompensieren und mangelndes Selbstvertrauen zu überspielen.
Berufliche Aussichten
Schlechte Schulleistungen erschweren nach Beendigung der Schulausbildung den Einstieg ins Berufsleben. Oft erreichen die Jugendlichen keinen Schulabschluss und haben gravierende Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden. Bereits jüngere Schulkinder beschäftigen sich mit der Frage, ob sie später eine „gute Arbeit bekommen“, oder planen in Einzelfällen schon die notwendige staatliche Unterstützung ein. Sie müssen die frühe Erfahrung machen, anscheinend nicht gebraucht zu werden, erleben sich perspektiv- und chancenlos, was Wut erzeugt, die sich zuweilen in Gewaltakten als hilflosen Versuchen, auf die eigene Lage aufmerksam zu machen, entladen kann.
Zusätzliche Gefahren
Infolge schlechter Lebensverhältnisse wie enger Wohnraum, Fehlernährung und Perspektivlosigkeit der Familien wächst insgesamt die Gefahr einer neurotisierenden Sozialisation. Auch gesundheitliche Beeinträchtigungen nehmen zu, die sich unter anderem in Fehlentwicklungen und Krankheitsanfälligkeit äußern können.
Neue Wege finden
Als ausweglos empfundene Armut verlangt von den Familienmitgliedern tagtäglich viel Kraft und Mut bei der Bewältigung der Alltagsaufgaben und birgt die Gefahr, dass resigniert alle Regelungsversuche aufgegeben werden. In der Beratungssituation geht es in erster Linie darum, die Familienmitglieder in ihren Fähigkeiten zu stärken und mit ihnen gemeinsam neue Wege zu finden, die bestehenden Probleme zu lösen, in dem sie derart unterstützt werden, dass heftige Eskalationen vermieden werden und sie ihr Leben befriedigender gestalten können.
Ressourcenaktivierung
Oft berichten die Familien von Problemanhäufungen, sodass zunächst alle Beteiligten sich einen Überblick verschaffen müssen darüber, welches Problem am wichtigsten ist bzw. welche Problemlösung eine spürbare Entlastung für die Familie bringen würde und somit die künftigen Handlungsmöglichkeiten erweitert werden. Hierbei ist die Berücksichtigung und Bewusstmachung der in der Familie vorhandenen Ressourcen von zentraler Bedeutung. Mit Ressourcen sind Fähigkeiten und Hilfsmittel der Familie gemeint, auf die sie zurückgreifen könnte, dies jedoch unter der aktuellen Problembelastung nicht von selbst zu sehen in der Lage ist. Gemeinsam mit den Klienten wird nach neuen Bedeutungen gesucht, die neue Sichtweisen und Verhaltensmöglichkeiten erzeugen können. Teilweise werden neue Erfahrungen über Vereinbarungen zur Erprobung von Verhaltensweisen ( therapeutische Hausaufgaben ) möglich gemacht.
Realistischer Optimismus
Ressourcenorientierte Fragen können den Familien helfen, einen realistischen Optimismus und die Hoffnung zu entwickeln, die Krisen zu meistern in dem Sinne von „wir werden immer einen Weg finden.“ Allzu leicht erleben arme Familien ihre soziale Lage als persönliches Versagen und lassen externe Faktoren außer Acht. Hier bietet systemische Beratung eine wichtige Möglichkeit zur emotionalen Entlastung, die konstruktiv bei der Problemlösung wirken kann.
Zusätzliche Entlastungsangebote
Über die direkten beraterischen Angebote hinaus wird mit den Familien erarbeitet, welche zusätzlichen Entlastungsangebote vor Ort vorhanden sind, die für die Familie hilfreich sein könnten, wie z. B. Kinderbetreuungsmaßnahmen, freizeitpädagogische Angebote, Hausaufgabenbetreuung.
Da diese Familien sich keine Fahrkosten erlauben können, ist besonders für sie eine direkte und leichte Erreichbarkeit der Beratungsstellen notwendig. Oft besteht darüber hinaus auch keine Möglichkeit, die Kinder zu Terminen zu fahren, weil kein Auto zur Verfügung steht und die Verkehrsanbindung ungünstig ist.