

Elterncoaching nach Haim Omer und Arist v. Schlippe
Neben der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen oder dem gesamten Familiensystem ist die Elternarbeit ein Ansatz, um Problemen in der Familie zu begegnen. Von den zahlreichen Möglichkeiten der Elternarbeit ist das Elterncoaching nach Haim Omer und Arist v. Schlippe in den vergangenen Jahren besonders populär geworden.
Unklare Elternrolle
Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern in der Gegenwart steht vor einer Vielzahl an Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung mit unbestreitbaren Vorteilen gegenüber festgelegten oder gar starren Rollen. Doch ist auch dies nicht frei von „Risiken und Nebenwirkungen“. So ist der Platz der Eltern als Zentrum und Mittelpunkt der Familie, der ihnen und den Kindern gleichermaßen Sicherheit und Orientierung gibt, heute nicht mehr selbstverständlich. Eltern sehen sich so vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt, was „richtige Erziehung“ bedeutet, dass die Gefahr besteht, unsicher zu werden, sich zunehmend hilflos zu fühlen und mit größerer Wahrscheinlichkeit langsam „an den Rand der Familie“ zu geraten. Schließlich befürchten sie, zur Erziehung gar nicht in der Lage zu sein.
Äußere Einflussnahmen
Solche Zweifel können verstärkt werden durch äußerliche Umstände, die die Einflussnahme der Eltern auf ihr Kind zusätzlich erschweren und ihren Stand in der Familie weiter untergraben. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spielen hierbei eine Rolle, d.h. die Frage, wie viele Ressourcen eine Familie zur Verfügung hat, sei es in Geld oder in Zeit. Müssen beide Eltern arbeiten um den Lebensunterhalt zu sichern, oder schließen die Arbeitszeiten Schicht- und Wochenendarbeit mit ein? Aber auch psychologische Faktoren fallen darunter: haben die Eltern Schuldgefühle, weil ihr Kind krank ist oder haben sie aus einem anderen Grund das Gefühl, eine Benachteiligung ausgleichen zu müssen? Gibt es Bekannte oder Verwandte, die die Erziehungskompetenz eines Elternteils oder beider Eltern ständig in Frage stellen? Auch wenn unter den Eltern einer den anderen immer wieder in Frage stellt, hat das den Effekt, dass die Position der Eltern geschwächt wird. Diese Schwächung nennen Haim Omer und Arist von Schlippe den Verlust der „elterlichen Präsenz“.
Elterliche Präsenz
Wenn die elterliche Präsenz, also das Gefühl der Wirksamkeit als Eltern, einmal verloren gegangen ist, schämen sich die Betroffenen häufig für ihre Hilflosigkeit und schotten sich daher von der Außenwelt ab. An dem Punkt schließt sich ein Teufelskreis nach einer Spirale heftig eskalierender Konflikte. Zunächst versuchen die Eltern oft, den Konflikt mit Nachgeben zu entschärfen. Das wiederum steigert die Forderungen des Kindes bis zu einem Punkt, an dem die Eltern hart bleiben wollen. Der daraus resultierende Riesenkrach gibt den Eltern erneut das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, weswegen sie ein schlechtes Gewissen haben und das nächste Mal wieder nachgeben usw. Aus diesem Teufelskreis kann das Elterncoaching herausführen.
Kein Super-Nanny-Prinzip
Im Gegensatz zur Super-Nanny oder einem Teil der Elternschulen geht es dabei nicht um die Vermittlung eines Prinzips. Ein Prinzip mag erstmal hilfreich sein, um das Gefühl der elterlichen Hilflosigkeit zu reduzieren, aber es kann ebenso geschehen, dass das Prinzip die Beziehung zwischen Eltern und Kindern blockiert und zwischen sie tritt. Stattdessen geht es im Elterncoaching darum, die festgefahrenen destruktiven Verhaltensmuster und negativen Beschreibungen wieder „aufzudehnen“ und einen Rahmen zu schaffen, in dem eine bessere Beziehung zwischen Eltern und Kind wieder möglich wird. Es geht Omer und v. Schlippe um „ein Geflecht von Beschreibungen, in dem sich jeder einzelne gut fühlen kann, im Wissen um die eigenen Möglichkeiten und mit einem guten Selbstwertgefühl versehen.“
Deeskalation
Obwohl Haim Omer und Arist von Schlippe in ihren Büchern zahlreiche Interventionen vorschlagen, darf dies nicht als Aufforderung missverstanden werden, bestimmte Techniken zu erlernen, sondern es geht um die qualitative Verbesserung der Beziehung zwischen Eltern und Kind über eine Veränderung der Haltung und die Zurückgewinnung beiderseitigen Respekts füreinander. Dafür ist es zunächst nötig, aus der Eskalationsspirale auszusteigen. Ein Motto des Elterncoachings ist daher: „Schmiede das Eisen solange es kalt ist!“, also die Aufforderung, Interventionen dann zu starten, wenn die emotional aufgeladene Konfliktsituation vorüber ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bemühung um Unterstützer, die den Eltern den Rücken stärken. Dies können z. B. andere Familienmitglieder sein, Freunde, Nachbarn oder Lehrer.
„Da sein“ als Intervention
Da die Interventionen der Eltern sehr viel Kraft erfordern, ist es zunächst wichtig, sich gut zu überlegen, welche Verhaltensweisen der Kinder nicht mehr zu tolerieren sind und gut zu wählen, für welche sich die Eltern einsetzen wollen. Hierunter fallen auf jeden Fall, Verhaltensweisen, die das Kind oder jemand anderen gefährden. Dann kann gemeinsam mit einem Berater/einer Beraterin überlegt werden, welche Maßnahmen die Eltern ergreifen können, um ihr Kind dazu zu bringen, damit aufzuhören. Diese Maßnahmen sind inspiriert von Ghandis gewaltlosem Widerstand, das heißt, körperliche und verbale Gewalt werden von den Eltern nicht eingesetzt, stattdessen veranstalten die Eltern z. B. Sit-ins im Kinderzimmer oder erscheinen an den von ihren Kindern bevorzugten Orten, bis das Kind Vorschläge macht, wie es das problematische Verhalten zukünftig vermeiden will und das auch einhält. Wichtig sind neben diesen Interventionen Versöhnungsgesten, damit die positiven Momente innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung wieder zunehmen und sich die Wahrnehmung der Beziehung, die oft durch die langanhaltenden Konflikte beiderseits nur noch negativ war, wieder erweitern kann.
Alle Gewinnen
Für die Eltern, die in die Beratung kommen, ist das Prinzip der Gewaltlosigkeit oftmals ein wichtiges Kriterium. Sie wollen zwar wieder die elterliche Rolle gegenüber ihren Kindern einnehmen, eigene Bedürfnisse einfordern und ihren Kindern Grenzen setzen, aber sie wollen ihren Kindern nicht schaden. Sie sind häufig erleichtert, wenn ihnen ein Ausweg aus dem Dilemma angeboten wird, wie sie ihren Kindern wieder ein Gegenüber sein können und trotzdem nicht in die Verhaltensweisen fallen, bei denen sie sich schlecht fühlen oder die sie vielleicht selbst in ihrer eigenen Kindheit leidvoll erfahren haben. Für die Kinder und Jugendlichen ist es wichtig, dass der Dauerstress zu Hause aufhört. Obwohl es auf den ersten Blick so scheinen mag, als ob sie die „Gewinner“ bei den Konflikten seien, geht es ihnen mit der Situation oftmals nicht gut. Eigentlich benötigen Kinder und Jugendliche den verlässlichen Rahmen, den ihnen die Erwachsenen in Form von Regeln und Verhaltensnormen zur Verfügung stellen, also ein starkes erwachsenes Gegenüber und zudem empfinden viele die ständigen Streitereien als enorme Belastung. Beide Seiten profitieren von dem Elterncoaching, daher ist es nicht verwunderlich, dass es seit seiner Vorstellung im Jahr 2000 eine weitverbreitete Akzeptanz gefunden hat.