BLENCA2-Studie: Untersuchte Kinder weisen deutlich höhere Blutbleiwerte auf als im Bundesdurchschnitt
Harztypische Bodenbelastungen als Hauptursache identifiziert/Landkreis Goslar veröffentlicht Studienergebnisse
310 Kinder im Alter zwischen fünf und sieben Jahren aus dem Landkreis Goslar haben von September 2023 bis Juni 2024 an der BLENCA2-Studie teilgenommen, deren Ergebnisse aktuell veröffentlicht worden sind. Im Rahmen der Studie, die sich auf freiwilliger Basis an die Schuleingangsuntersuchungen anschloss, wurde die Bleikonzentration im Blut untersucht. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass 51 Prozent der angehenden Schulkinder den Referenzwert für die Blut-Bleikonzentration überschreiten. Im Bundesdurchschnitt ist dies nur bei fünf Prozent der Kinder der Fall.
Durchgeführt wurde die vom Kreistag einstimmig beauftragte Studie von Forscherinnen und Forschern des Klinikums der Ludwigs-Maximilian-Universität München (LMU). Das Münchner Forschungsteam hatte bereits im Jahr 2022 das erste umweltmedizinische Gutachten an den Grundschulen in Oker und Harlingerode erstellt.
Landrat Dr. Alexander Saipa bilanziert, dass die Ergebnisse in Teilbereichen überraschen, die Studie aber klare Schlussfolgerungen zulässt. „Bei 157 der 310 untersuchten Kinder wird der Referenzwert für Blei im Blut überschritten. Zwar konnten im Rahmen der Studie keine direkten gesundheitlichen Folgen nachgewiesen werden, dennoch ist die erhöhte Belastung für uns Anlass zum Handeln. Die Studie bietet dafür eine breite Datenbasis und viele wichtige Erkenntnisse. So konnte klar herausgearbeitet werden, dass Kinder aus Gebieten mit höherer Bodenbelastung durch Blei auch höhere Blut-Bleikonzentrationen aufwiesen. Überraschend war für uns indes, dass auch viele Kinder aus Bereichen mit niedriger belasteten Böden über dem Referenzwert liegen.“
Professor Dr. Dennis Nowak, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der LMUMünchen, ordnet die Ergebnisse der BLENCA2-Untersuchungen folgendermaßen ein: „Es ist bekannt, dass erhöhte Bleibelastungen insbesondere bei Kindern mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind. Aussagen zu individuellen gesundheitlichen Auswirkungen waren im Rahmen der Studie jedoch nicht möglich, da die Fallzahl begrenzt war und die eingesetzten Erhebungsinstrumente nicht auf die Erfassung subtiler gesundheitlicher Veränderungen ausgelegt sind. Da gesundheitliche Effekte häufig erst über längere Zeiträume und auf Gruppenebene sichtbar werden, sollten die weiteren Entwicklungen im Auge behalten werden. Umso wichtiger ist es daher, die Exposition konsequent zu reduzieren und präventive Maßnahmen umzusetzen.“
Goslars Amtsarzt Dr. Martin Hepp unterstreicht, dass ein entscheidender Ansatz zur Verringerung der Bleiexposition darin liegt, die weitere Aufnahme von Blei durch den Kontakt zu stark belasteten Bodenflächen möglichst gering zu halten. Das gründliche Waschen der Hände nach dem Spielen unter freiem Himmel hat nachweislich einen hohen Einfluss auf die Verringerung der Bleibelastung bei Kindern. „Kinder, die nach dem Spielen im Garten oder vor dem Essen gründlich ihre Hände waschen, haben geringere Bleiwerte; ebenso übrigens wie Kinder, die keinem Passivrauch ausgesetzt sind.“, so Dr.Martin Hepp.
Lea John, Doktorandin an der LMU und Hauptautorin der Studie, erläutert, dass sich die Untersuchungsergebnisse auch mit Blick auf den Zeitpunkt der Probennahme unterscheiden. Kinder, die in den Herbst- und Wintermonaten ihre Blutprobe abgaben, wiesen tendenziell eine niedrigere Blut-Bleikonzentration auf. Dies dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass während der kalten Jahreszeit weniger draußen gespielt wird, zum anderen kommen auch witterungsbedingte Faktoren zum Tragen, die eine Aufnahme von Blei verringern können. „Der Zusammenhang zwischen der bestehenden Bodenbelastung und dem Spielen im Garten oder auf anderen Flächen ist bei der Auswertung der Ergebnisse deutlich hervorgetreten. Demnach haben Kinder, die häufig draußen spielen und sich vermehrt in einem Gebiet mit höherer Bodenbelastung aufhalten, höhere Bleiwerte“, so John.
Die Wissenschaftlerin gibt jedoch gleichzeitig den wichtigen Hinweis, dass diese Studienerkenntnis nicht dazu führen sollte, die Kinder nicht mehr oder weniger im Garten oder der Natur spielen zu lassen: „Die gesundheitlichen Vorteile vom Spielen und Toben an der frischen Luft überwiegen bei weitem. Und aus diesem Grund sagen wir auch ganz deutlich, dass dies auf keinen Fall unterbunden oder reduziert werden sollte.“
Dr. Walter Schmotz, Leiter der unteren Bodenschutzbehörde (uBB) beim Landkreis Goslar, leitet für seinen Zuständigkeitsbereich aus den Ergebnissen der Studie eine Reihe von Aufgaben ab. „Die aktuell im Kreisgebiet tätigen Industriebetriebe, die in der Vergangenheit in den Verdacht geraten waren für gesundheitliche Belastungen verantwortlich zu sein und auch den ausschlaggebenden Impuls für die Studien geliefert haben, sind auf Grundlage der neuen Erkenntnisse aus dem Blickfeld getreten. Es ist eindeutig, dass die bergbauhistorischen Schwermetallbelastungen ursächlich sind, und die betreffen unsere Böden. In den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten haben wir auf Grundlage unserer Bodenplanungsgebietsverordnung gemeinsam mit unseren Kommunen große Anstrengungen im Bereich von öffentlichen Spielflächen unternommen. Hier müssen wir weiterhin am Ball bleiben. Deshalb haben wir die erforderlichen Abstimmungen auch bereits aufgenommen“, sagt Dr. Schmotz.
Der Landkreis Goslar will die Veröffentlichung der BLENCA2-Studie mit dem Start einer neuerlichen Informationskampagne verbinden. Neben bereits vorhandenen Publikationen sollen die Bürgerinnen und Bürger mit weiteren Infos versorgt werden, die dabei helfen können die Bleibelastung noch weiter zu verringern.
Landrat Dr. Saipa sieht in der Studie daher auch eine gute Gelegenheit, um die Bevölkerung weiter für das Thema zu sensibilisieren. „Die Tendenz ist auch mit der nun veröffentlichen Studie klar. Auch wenn die Blutbleikonzentrationen zurückgehen, liegen sie weiterhin auf einem zu hohen Niveau. Der wichtigste Schritt ist, den Kontakt mit belasteten Böden zu minimieren. Gleichzeitig können einfache Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen die Aufnahme von Blei zusätzlich verringern. Darüber hinaus werden wir auf Wunsch und bei Bedarf natürlich auch beratend zur Seite stehen“, so der Chef der Goslarer Kreisverwaltung.
Großen Dank richtet der Landrat auch in Richtung des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA), das sich umfangreich an beiden Studien beteiligt hat. Die Machbarkeitsstudie im Vorfeld der ersten BLENCA-Untersuchungen hat das NLGA beispielsweise kostenfrei erstellt. Zudem war das Amt in Person von Michael Hoopmann und Nathalie Costa Pinheiro stets beratend beteiligt.
Von Seiten der LMU arbeiteten neben Professor Dr.Dennis Nowak und Lea John noch Professorin Dr.Katja Radon als Studienleiterin, Dr.Laura Wengenroth und Dr.Stefan Rakete an der Erstellung der BLENCA2-Studie.