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Datum: 7. März 2024

"Ich bin nicht behindert, ich werde behindert"

Ein Interview mit dem Kreisbehindertenbeauftragten des Landkreises Goslar, Christian Bormann

Seit Mai vergangenen Jahres bekleidet der Bad Harzburger Christian Bormann das Amt des Kreisbehindertenbeauftragten. Immer donnerstags – in der Zeit von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr – bietet der 54-Jährige seine Sprechstunde an. Zu finden ist er stets in Raum 021 im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes in der Klubgartenstraße 11.

Im Interview spricht Bormann über die Schwerpunkte seiner Arbeit, die Inhalte seiner wöchentlichen Sprechstunde und die Erfahrungen mit der eigenen Behinderung.

Herr Bormann, wo setzen Sie den Schwerpunkt bei Ihrer Arbeit als Kreisbehindertenbeauftragter?

Ich sehe es als meine primäre Aufgabe die Inklusion im Landkreis Goslar weiter voranzutreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, möchte ich die bereits vorhandenen Strukturen weiter stärken und gleichzeitig neue Impulse setzen. Mein Vorgänger im Amt, Ulrich Heinemann, und die Kreisverwaltung haben bereits dafür gesorgt, dass es den Inklusionsbeirat gibt. Darüber hinaus verfügen viele Kommunen im Kreis über Behindertenbeauftragte. Das trägt sicherlich dazu bei, dass bereits ein gewisses Interesse und Verständnis für die Komplexität beim Thema Inklusion besteht.

Einen wichtigen Ansatzpunkt sehe ich in der Netzwerkarbeit, um die verschiedenen Akteure und Arbeitskreise untereinander ins Gespräch zu bringen. Ausgangspunkt ist für mich dabei die Arbeit im Inklusionsbeirat, der neben seiner Netzwerkkomponente auch die Möglichkeit bietet durch Förderung von Mikroprojekten etwas für die Inklusion zu bewegen.

Einmal die Woche sind Sie im Rahmen einer öffentlichen Sprechstunde im Kreishaus anzutreffen. Mit welchen Themen kommen die Bürgerinnen und Bürger zu Ihnen?

Die Themen und Anliegen sind ganz unterschiedlich. Das reicht von der Hilfestellung bei der Beantragung eines Behindertenausweises bis zur Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen. Ich werde darüber hinaus aber auch kontaktiert, wenn Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder bei der Suche nach einer barrierefreien Wohnung. Ich berate aber natürlich auch dahingehend, wenn es darum geht, den richtigen Ansprechpartner zu finden, denn auf alle Fragen habe ich natürlich auch keine sofortige Antwort parat.

Sie selbst sind behindert, aufgrund persönlicher Erfahrungswerte wissen Sie daher um die mannigfaltigen Schwierigkeiten und Einschränkungen denen sich behinderte Menschen in unserer Gesellschaft ausgesetzt sehen. Haben Sie den Eindruck, dass Menschen mit Behinderungen ausreichend Aufmerksamkeit zuteilwird? Woran fehlt es möglicherweise?

Darauf antworte ich stets, dass ich nicht behindert bin, sondern ich behindert werde. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir es mit ganz vielen Normen zu tun haben die es zu erfüllen gilt. Leider erlebe ich es aber immer wieder, dass sich Menschen mit Beeinträchtigungen zunehmend mehr anstrengen müssen, um dazuzugehören. Menschen mit einer Behinderung sind anders und sie erleben leider sehr oft – dass egal wie sehr sie sich auch anstrengen - am Ende auch anderes bleiben und deshalb Ausgrenzung erfahren.

Als Behindertenbeauftragter möchte ich dazu beitragen, die gesellschaftlich hervorgerufene Behinderung zu beenden, und wir unsere Kräfte lieber dahingehend ausrichten uns gegenseitig zu befähigen unser volles Potential auszuschöpfen. Lasst uns nach Lösungen, nicht nach Problemen suchen.

An diesem nun auch von Ihnen formulierten Punkt setzt die Idee der Inklusion ja eigentlich an. In einer inklusiven Gesellschaft sollen Menschen mit Behinderung ihr Leben nicht mehr an vorhandene Strukturen anpassen müssen. Vielmehr ist die Gesellschaft aufgerufen, Strukturen zu schaffen, die es jedem Menschen – auch den Menschen mit Behinderung – ermöglichen, von Anfang an ein wertvolles Teil der Gesellschaft zu sein.

Wie stehen Sie zur Inklusion? Haben wir nach Ihrer Auffassung schon einen guten Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft gemacht?

Ich bin jetzt 54 Jahre alt und ich sehe, dass sich in den letzten Jahrzehnten schon eine Menge getan hat, aber es ist noch Luft nach oben. Als ich ein Kind war, musste meine Mutter mich oft tragen oder viele Mühen auf sich nehmen, damit ich auch mit dabei sein konnte. Heute ist vieles einfacher geworden, auch für Menschen mit Beeinträchtigung, aber es gibt immer noch viele Hürden. Vieles wird von Menschen ohne Beeinträchtigung für Menschen mit Beeinträchtigung gemacht. Jedoch hat jeder seine persönli-che Perspektive. Deshalb denke ich, dass es besser wäre, wenn sich die Menschen mit Beeinträchtigung stärker einbringen, für sich sprechen und zum Ausdruck bringen was sie benötigen. Dann würden nach meiner Über-zeugung auch Barrieren verschwinden, die wir heute noch gar nicht als sol-che wahrnehmen.

Herr Christian Bormann ist per E-Mail an behindertenbeauftragter@landkreis-goslar.de oder telefonisch unter der Rufnummer (05321) 76-505 erreichbar.