"Gleichberechtigung geht nur gemeinsam"
13 Jahre, seit 2007, übte Theresia Menzel-Meer die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten beim Landkreis Goslar aus. Zum 31. August dieses Jahres tritt sie in den Ruhestand ein. Kathrin Geschke, die gegenwärtig als Bildungskoordinatorin für Neuzugewanderte in der Kreisverwaltung arbeitet, übernimmt die Funktion zum 1. September.
Im gemeinsamen Gespräch thematisieren die scheidende und die neue Gleichstellungsbeauftragte die Herausforderungen bei der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, welche Schwerpunkte in der Vergangenheit gesetzt wurden und was es in Zukunft anzupacken gilt.
Frau Menzel-Meer, können Sie in wenigen Sätzen rekapitulieren, mit welchen Herausforderungen Sie es in den vielen Jahren Ihrer Amtszeit zu tun hatten und welchen Themen Sie besondere Beachtung schenkten?
Frau Menzel-Meer: Zuständig war ich für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landkreises, aber auch verwaltungsintern für die Beschäftigten. Hier war es mir wichtig die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienpflichten zu verbessern. Von daher habe ich mich sehr stark bei der Umsetzung des Audits „berufundfamilie“ eingebracht. Flexible Arbeitszeitgestaltung, Telearbeit, die „Klubgartenzwerge“ als eigene Einrichtung zur Kinderbetreuung, Sensibilisierung der Führungskräfte für das Thema Vereinbarung sind einige Meilensteine. Mit Blick auf die Einwohnerinnen und Einwohner war mir immer wichtig, auch bereits vor Übernahme des Amtes, dass das Thema „häusliche Gewalt“ Beachtung findet und bearbeitet wird. Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder ist unsäglich. Ich habe daher vehement für die Stärkung des Frauenhauses und für die Einrichtung einer ambulanten Beratungsstelle für von Gewalt betroffenen Frauen eingesetzt und im „Netzwerk gegen häusliche Gewalt“ mitgearbeitet. Das Thema ist schon lange brisant und hat über die Jahre leider auch nichts an Brisanz eingebüßt.
Stichwort Corona: Könnte es sein, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus auch den Effekt gehabt haben könnten, dass häusliche Gewalt weiter zugenommen hat?
Frau Geschke: Mit Sicherheit wurden die Einschränkungen von vielen Menschen als belastend empfunden und zusätzliche Sorgen wirtschaftlicher Art, können Konflikte noch verstärkt haben. Gesicherte Zahlen liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor. Fakt ist aber, dass es für betroffene Personen durch die Kontaktbeschränkungen nicht möglich war, sich bemerkbar zu machen. Ebenso fehlte bei Kindern und Jugendlichen der Blick von den Kitas und Schulen, denen sonst Probleme auffallen. Zu dem Thema häusliche Gewalt am Ball zu bleiben, ist sehr wichtig und das habe ich mir in jedem Fall vorgenommen.
Frau Menzel-Meer, wo sehen Sie den wichtigsten Handlungsbedarf für die Zukunft?
Frau Menzel-Meer: Von Altersarmut sind Frauen überproportional betroffen. Oft hatten sie Familienpflichten, konnten nur in Teilzeit oder in Mini Jobs arbeiten. Zudem verdienen Frauen in Deutschland rund 20 % weniger als Männer. Wir brauchen strukturelle Veränderungen um diese Lohnlücke zu schließen, eine gute Ausstattung mit Kinderbetreuungseinrichtungen und eine faire Verteilung von Familienaufgaben auf Frauen und Männer.
Für die Verwaltung habe ich den Wunsch, dass der Anteil weiblicher Führungskräfte, gegenwärtig etwa 35 Prozent, weiter anwächst und auch Führung in Teilzeit immer mehr Akzeptanz findet.
Frau Geschke, ab dem 1. September stehen Sie als Nachfolgerin in der Verantwortung. Sie haben bereits Erfahrungen als Gleichstellungsbeauftragte in Bargteheide gesammelt. Im Rahmen Ihrer Vorstellung im Kreistag haben Sie gesagt, dass Ihnen vor allem die Zusammenarbeit mit der Politik am Herzen liegt. Nun ist Politik ja aber weiterhin eine von Männern dominierte Branche. Vor diesem Hintergrund: hat sich die Politik der Gleichberechtigung angenommen? Und: was muss sich aus Ihrer Sicht noch verändern?
Frau Geschke: Kommunalpolitik ist das Fundament der Demokratie und zur Demokratie gehört der Gedanke von Gleichberechtigung. Kommunales Handeln wirkt mit ihren Entscheidungen in die Kommune und in unseren Alltag hinein, wie beispielsweise in Infrastrukturen, Mobilität oder öffentliche Sicherheit. Im Kreistag des Landkreises sind derzeit zwölf Frauen und vierzig Männer vertreten und auch in den Stadt-, Orts- und Gemeinderäten sind Frauen in diesem Bereich unterrepräsentiert. Ein Blick in die Fördervereine oder in Schulelternräte zeigt schon das Interesse und die Einsatzbereitschaft von Frauen, sich vor Ort zu engagieren. Bedenkt man dann noch, dass 50 Prozent unserer Gesellschaft weiblich sind, dann sollte ihr Potential auch stärker in den politischen Diskurs einfließen und alle Perspektiven bei Entscheidungen sichtbar werden. Ich möchte verstärkt über die unterschiedlichen Möglichkeiten eines politischen Engagements informieren und Wege in ein politisches Ehrenamt transparenter darstellen. Darin sehe ich einen wichtigen Schwerpunk und hier ist mir auch eine enge Rückkopplung mit den Mandatstragenden im Kreistag ein großes Anliegen.
Verfolgt man den öffentlichen Diskurs zum Thema Gleichstellung und Gleichberechtigung, kann sich einem durchaus das Bild aufdrängen, dass es sich hier in erster Linie, um die Belange der Frauen geht. Männer spielen da eher eine untergeordnete Rolle, denn Männer sind ja zumindest in der Wahrnehmung bessergestellt. Wie bewerten Sie diese Diskussion, welche Rolle spielen Männer bei der Gleichstellung der Geschlechter?
Frau Menzel-Meer: Das Thema Gleichstellung darf nicht länger nur ein Thema für Frauen sein. Gleichberechtigung kann nur gemeinsam mit Männern erfolgreich sein, sie müssen ganz gezielt eingebunden, ihre Probleme und Sorgen ernst genommen werden. Gleichzeitig müssen wir aber auch aufpassen, dass es nicht in Richtung des Anti-Feminismus kippt, also das Männer ganz bewusst gegen Frauen agieren und Gleichberechtigung in Frage stellen. Hier sehe ich durchaus eine steigende Tendenz.
Frau Geschke: Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist gesetzlich verankert und ein Menschenrecht. Die Umsetzung des Auftrages ist eine Querschnittsaufgabe und es geht gar nicht anders als Frauen und Männer gleichermaßen zu berücksichtigen. Dennoch – und da stimme ich mit Frau Menzel vollkommen überein – darf das nicht dazu führen, die strukturellen Benachteiligungen mit ihren vielfältigen Ursachen und Bedingungen aus den Augen zu verlieren. Vieles ist schon auf den Weg gebracht worden. Wir alle tragen einen Anteil daran, den Weg begehbar zu halten oder ihn an einigen Stellen zugänglicher zu machen. In der Gleichstellungsarbeit sind mir Werte wie Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit sehr wichtig, denn ohne Chancengleichheit gibt es keine Gerechtigkeit und ohne Gerechtigkeit, gibt es keine Freiheit. Das betrifft alle Geschlechter dieser Gesellschaft gleichermaßen und nimmt damit auch alle in den Blick.
Und nun noch zum Abschluss: Frau Menzel-Meer, hat Ihnen der Job Freude bereitet?
Frau Menzel-Meer: Ja, denn die Aufgabe war ausgesprochen vielfältig und eigentlich war auch kein Tag wie der andere. Ich hatte viele inspirierende Begegnungen/Diskussionen mit den unterschiedlichsten Menschen, Freiräume bei der Gestaltung meiner Arbeitund die Möglichkeit Gleichstellung in Bewegung zu setzen.